Wie immer um diese Zeit, versuche ich, in die nähere Zukunft des Fotomarkts zu schauen und etwas über die voranschreitenden Entwicklungen zu reflektieren. Wie gut oder schlecht das gelingt, können sie in den vergangenen Jahresvorschauen überprüfen.
In den nächsten Monaten wird der Fotomarkt sicher nicht die Schlagzeilen beherrschen, weil die nächste Welle der Pandemie die vermutlich stressigste von allen werden wird. Für alle, die inzwischen dreimal geimpft sind, wird sie deutlich weniger bedrohlich sein als vor einem Jahr, aber insgesamt hat sie das Potenzial, sehr viele zu treffen und auch Abläufe außerhalb der Krankenhäuser stark durcheinanderzubringen. In den Monaten darauf wird der Fotomarkt auch nicht die Schlagzeilen beherrschen, weil er außer für uns Fotobegeisterte eine unbedeutende Nische geworden ist, die Zeiten, in denen es in fast jedem Haushalt eine „richtige“ Kamera gab, sind endgültig vorbei. Aber auch abgesehen von den Smartphones, die die Kameras zu einem großen Teil ersetzt haben, gibt es für die Hersteller von Bildsensoren und Objektiven genug zu tun. Weltweit gibt es mehr als eine Milliarde Überwachungskameras, fast 2/3 davon in China, ein Durchschnittsneuwagen besitzt mehr als eine Kamera, die Zahl und die Qualität wird noch zunehmen, je mehr wir uns dem autonomen Fahren nähern. In Industrie, Wissenschaft und Robotik wächst der Bedarf auch, viele der Techniken aus diesen Bereichen wirken zurück auf die Fotografie. Meine EOS R5 kann Menschen, Tiere und Kraftfahrzeuge recht zuverlässig erkennen und im Fokus behalten, etwas, woran eine DSLR aufgrund der sehr viel kleineren Sensoren für die Fokusermittlung scheitern würde.
Auch deswegen haben wir die DSLR in diesem Jahr beerdigt, Nikon und Canon haben mit der Z9 und der R3 Kameras herausgebracht, die ihre Top-DSLRs übertreffen. Und sie haben klargemacht, dass ihre letzte Top-DSLR auch die letzte bleiben wird. Nur Pentax, die das Pentaprisma der SLR schon im Namen tragen, bekennt sich weiterhin ganz zur DSLR. 2021 war das Jahr, in dem die Spiegellosen endgültig vorbeigezogen sind. Dazu brauchte es Sensoren, die sich schnell genug auslesen lassen, um zeitlich feinaufgelöste Daten für die Bewegungsermittlung zu liefern, Prozessoren, die diese Daten in Echtzeit sinnvoll inklusive Bilderkennung auszuwerten und Sucher, die so schnell und hochaufgelöst sind, dass wir den optischen Sucher der Spiegelreflex nicht mehr vermissen. Das bedeutet aber auch, dass viele DSLR-Objektive jetzt schon nicht mehr in der Produktion sind und nur noch Lagerbestände abverkauft werden. Viele der EF-Objektive z.B. werden Sie bald nicht mehr neu kaufen können. Dafür werden wir in 2022 wohl RF-Objektive auch von Sigma und anderen sehen, der Markt verschiebt sich stark zu den Spiegellosen.
Vermutlich als nächstes wird der mechanische Verschluss verschwinden. Er war bei einer Digitalkamera hauptsächlich notwendig, um den Sensor nur für eine kurze Zeit zu belichten, die kürzer war, als die Auslesezeit des Sensors. Ansonsten hätten Sie mit einem starken Rolling-Shutter-Effekt zu kämpfen und würden beim Blitzen nur einen Teil des Bildes belichten. Sobald aber die Auslesezeit in den Bereich der Blitzsynchronzeit kommt, verschwinden die Vorteile des mechanischen Verschlusses weitgehend und man kann auf dieses aufwendige und anfällige Bauteil verzichten. Die erste professionelle Kamera, die das tatsächlich auch so macht, ist die Nikon Z9, sie hat nur noch einen mechanischen Hilfsverschluss, der den Sensor beim Objektivwechsel bedeckt, um ihn vor Staub zu schützen.
Bei den Sensoren gibt es zwar immer schnellere Auslesezeiten, ob bald eine Kamera mit einem echten Global Shutter (zeitgleiches Auslesen des gesamten Sensors) kommt, ist aber weiterhin ungewiss. Mit gebogenen Sensoren rechne ich abseits von kleinen, integrierten Lösungen nicht, auch wenn sie immer mal wieder in Gerüchten auftauchen. Alternativen zu Sensoren mit Bayermuster sind allerdings langsam fällig, bislang sind Alternativen wie Foveon sind nur in Nischen zu finden, genau wie Quantum Dot Sensoren. Auflösung und Lichtempfindlichkeit aktueller Sensoren sind schon sehr gut, aber ich würde mir einen höheren Dynamikumfang wünschen, der es möglich macht, das, was das Auge wahrnehmen kann, in einer einzigen Belichtung zu erfassen. Noch kürzere Auslesezeiten würden auch weniger Blitzleistung erfordern, wenn sich der Blitz gegen das Tageslicht durchsetzen soll.
Ich denke auch, dass die Zeit, in der wir spezielle Cinema-Versionen zu Systemkameras sehen, langsam zu Ende gehen wird. Von der EOS R5 wird es bald eine C-Version geben, bei der kommenden R1 gehe ich davon aus, dass sie beide Bereiche perfekt beherrschen wird. Die Frage ist auch, ob es sich bei einem schrumpfenden Markt noch lohnt, eine große Modellvielfalt zu pflegen, eine Sony A7C halte ich z.B. für verzichtbar und es scheint, dass Sony die im Moment auch nicht weiterproduziert. Es werden sicher noch kleine Vloggerkameras erscheinen oder große Filmkameras, die nicht für die Fotografie gedacht oder geeignet sind, aber das man eine Systemkamera in Foto- und Videoversion aufspaltet, ist technisch nicht mehr notwendig.
Ich rechne schon damit, dass einige Kameragehäuse vor der Vorstellung stehen, Canons EOS R wird vier Jahre alt, auch die RP kann eine Auffrischung gebrauchen. Ich vermute, dass das EOS-M-System keine lange Zukunft haben wird und stattdessen bald eine APS-C mit RF-Mount kommen wird. Später ist auch eine EOS R1 absehbar. Bei Sony wartet die A9 II und die A7RIV auf einen Nachfolger. Ich denke aber, dass wir in der ersten Jahreshälfte kaum etwas in den Händen werden halten können, sondern nur Ankündigungen mit späterer Lieferbarkeit sehen werden. Mit noch späterer, wenn China es nicht schaffen sollte, Omikron unter Kontrolle zu halten, was schwieriger als alles bisher werden wird. Chipkrise und Lieferprobleme werden uns nicht nur in diesem Bereich noch eine Weile begleiten und wir können nur hoffen, dass sie nicht durch zusätzliche Ereignisse verschlimmert wird. Eine ernsthafte Taiwankrise wäre eine Katastrophe, aber auch „Kleinigkeiten“, wie die Zerstörung einer Fabrik durch Brand oder Überschwemmung/Tsunami etc. können weitreichende Folgen haben. Vor ein paar Jahren wurden Chips teuer, weil eine der Fabriken, die den Kunststoff für die Ummantelung herstellte, ausgefallen war. Im Moment werden die Folien knapp, die für die Isolation der Platinen sorgen. Ein Teil der Probleme rührt aber auch daher, dass wir unsere knappen Ressourcen verschwenden, indem z.B. riesige Bitcoin-Miner-Farmen aufgebaut werden oder Festplatten für „proof-of-space“-Cryptowährungen verbraucht werden. Es kann auch sein, dass die Zeiten, in denen fast alles kurzfristig verfügbar ist, langsam ganz vorbei gehen, nicht weil ich eine große Wirtschaftskrise erwarte, sondern weil die Wirtschaft soviel wichtige Dinge erledigen muss, während gleichzeitig Ressourcen knapper werden oder wir uns es aus anderen Gründen nicht leisten können, diese zu verbrauchen. Das muss aber kein Nachteil sein.
Der Trend weg von Lightroom und hin zu anderen Raw-Konvertern, vor allem zu CaptureOne, hat sich bei mir und befreundeten Profikolleg:innen fortgesetzt. In der neuen Version beherrscht CaptureOne auch HDR und Panoramen, damit gibt es eigentlich keine echten Gründe mehr für Lightroom, es sei denn, Sie verwenden Plugins wie z.B. Negative Lab Professional, die nur für LR verfügbar sind.
Die Verbreitung von Mittelformatkameras hat ebenfalls zugenommen, auch weil die Preise langsam in Regionen ankommen, die auch zu analogen Zeiten für Mittelformatkameras normal waren. Die Unbezahlbarkeit ist eindeutig vorbei, eine Fujifilm GFX 50S II ist günstiger zu haben als eine Canon EOS R5, selbst 100MP bekommen Sie jetzt für unter 6000 €. Immer noch viel Geld, aber noch vor einer Weile hätten Sie eher 40.000 € anlegen müssen, bei geringerer Alltagstauglichkeit. Die ist immer noch nicht so hoch, wie beim Vollformat, ich denke aber, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren ein Sensor für Mittelformat kommen wird, der sich sehr schnell wird auslesen lassen und auch einen schnelleren und genaueren AF ermöglichen wird. Ich halte es auch für möglich, dass eine noch kleinere und günstigere Mittelformatkamera auf den Markt kommen wird, die den Systemeinstieg noch weiter erleichtern wird.
Bei den Blitzgeräten geht der Trend weiter zu Fremdherstellern. Nikon hat sogar einen Vertrag mit Nissin geschlossen, um die Versorgung mit Systemblitzen für das Z-System sicherzustellen. Fremdhersteller wie Godox sind inzwischen innovativ und liefern TTL-kompatible Akkublitze vom kleinen Aufsteckblitz bis hin zu 1200J Energie. Auch hier geht der Trend eindeutig zu Lithium-Ionen-Akkus, die schneller und ausdauernder sind als NiMH-Akkus. Allerdings auch nicht so standardisiert wie AA-Zellen.
Ein weiterer Trend führt zum Dauerlicht. LED-Technik ist günstig und gut geworden, ist hell genug bei ca. achtmal weniger Stromaufnahme als bei Glühlicht. Viele Leuchten sind obendrein über den gesamten Farbbereich regelbar, so dass Filter überflüssig werden. Vorteile sind, dass Sie auch für Video verwendbar sind oder für automatisches Fokusstacking, dass viele Kameras nur mit dem elektronischen Verschluss unterstützen, der oft nicht mit Blitz zusammen verwendbar ist.
Bei den Objektiven zeichnet sich eine Verbreiterung des Angebots ab, Zooms werden lichtstärker oder auch lichtschwächer, weil die Spiellosen auch mit kleinen Anfangsblenden fokussieren können. Festbrennweiten kommen in früher eher unüblichen Werten wie 45,65,70 oder 75mm, es gibt vermehrt sehr lichtstarke oder auch günstige Objektive ohne AF. Bei den besseren Objektiven werden Abbildungsfehler bewusst als Stilmittel verwendet. Das Fujifilm GF80mm f1,7 (für Mittelformat) besitzt zum Beispiel bei Offenblende ein paar ganz bewusst übriggelassene Abbildungsfehler, um dem Ergebnis bei immer noch sehr guter Schärfe mehr Charakter zu verleihen. Das Canon RF 100mm f2,8L Macro ist mit einem Ring ausgestattet, der die Sphärische Aberration in zwei Richtungen verändern kann. Dadurch ändert sich das Bokeh und die Bildschärfe verringert sich deutlich. Natürlich können Sie einen ähnlichen Look auch mit alten Objektiven erreichen. Das machen in der Fotografie schon einige, bei den Filmern gehört es schon zum Standard und etliche Objektive werden gerade deutlich teurer, weil sie aufgekauft werden, um ein Rehousing für den Kinobereich zu erfahren. Ein Olympus OM Zuiko-W 21mm f2 geht heute für mindestens 2000 € weg (gerade fand ich nur ein einziges Angebot, dass 3850 € kosten sollte), aber auch ein verhältnismäßig häufiges Objektiv wie das Canon FD 35mm F2 S.S.C. hat seinen Preis in der letzten Zeit verdoppelt.
KI ist ein großer Trend in der Bildbearbeitung, zum Teil auch in der Bilderstellung. Manches davon ist spannend und eröffnet neue Möglichkeiten, zum Beispiel GANs und Deepfake-Software, in der Bildbearbeitung sorgt sie aber leider oft nur dafür, den Zuckerguss noch dicker zu machen, die Bilder noch glatter zu bügeln und Landschaftsfotos zu erzeugen, die drei verschiedene Sonnenstände für den Himmel, den Mond und die Landschaft haben. In den Smartphones wird oft schon stark optimiert, ohne dass wir das extra einschalten müssen. Mich langweilt das eher und ich habe meine fotografische Arbeit 2020 darauf konzentriert, dokumentarisch und frei von jeder Retusche zu fotografieren. Zum einen haben ich mit http://ruhrstadt-revisited.de/ eine Arbeit aus meinem Fotodesignstudium wieder aufgenommen, zum anderen mit https://flusslandschaften.westbild.de/ eine Serie von Flusslandschaften in Nordrhein Westfalen aufgenommen. Und wenn ich für Kunden Dinge visualisieren soll, die es noch nicht gibt, verwende ich dafür heute eher die 3D-Software Blender als Photoshop, auch weil es mir ermöglicht, gleich mehrere Ansichten aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzeugen.
Wenn Corona endemisch geworden sein wird, wird uns wieder klarer werden, dass wir noch viel größere Probleme zu lösen haben. Der Klimawandel schreitet schneller voran als die meisten von uns das erwartet haben, auch in Deutschland haben wir 2021 erfahren, welch katastrophale Auswirkungen er mit sich bringt. Der wahre Preis einer Tonne CO2 ist nicht der, zu dem man sie an anderer Stelle am günstigsten einsparen kann, sondern der, den man aufwenden muss, um sie wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Zuzüglich des Methans, dass durch die Erwärmung freigesetzt wird oder des CO2s, dass durch die verstärkten Waldbrände entsteht. Zuzüglich der Schäden, die durch die Fluten, Trockenheiten, Stürme, Brände, das Artensterben etc. zusammenkommen. Wenn Sie zu zweit nach Neuseeland fliegen, erzeugen Sie zwischen 12 und 24t CO2 (hin und zurück), bei kürzeren Strecken weniger, aber immer noch enorme Mengen. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, in den nächsten Jahren noch in ein Flugzeug zu steigen und mein nächstes Auto wird mit Sicherheit batterieelektrisch. Den Haushalt habe ich schon lange auf 100% Ökostrom und Ökogas umgestellt. Und selbst damit komme ich noch lange nicht dahin, wo ich sein müsste, damit mein C02-Fußabdruck umweltverträglich wäre. Sie können das für sich selbst unter https://uba.co2-rechner.de/de_DE/ ausrechnen. Vieles davon wird allerdings von alleine besser werden, indem die Unternehmen, deren Kunde ich bin, ihre CO2-Bilanz verbessern, aber ich werde auch noch sehr viel ändern müssen, damit ich in einen wirklich umweltverträglichen Bereich komme.
Auch wenn sich manches vielleicht in der Produktion verzögern wird, die Entwicklung geht weiter, auch abseits der Fotografie. Alleine in den letzten Tagen wurde das James Web-Teleskop erfolgreich gestartet und ein chinesischer Tokamak hat es geschafft, für 17min. 70 Millionen Grad aufrecht zu erhalten. Vor nicht allzu langer Zeit liefen Kernfusionsreaktoren nur Sekunden. Bis zum praktischen Einsatz wird es noch sehr lange dauern, aber die Erfolge machen Mut, dass wir das hinkriegen können. Wie schnell Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 in Menge verfügbar waren, macht ebenfalls Hoffnung für die Zukunft. Wir werden sehr viele Probleme lösen und Krisen entschärfen müssen, aber wir stehen auch nicht mit leeren Händen da. Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches, gesundes und angenehmes Jahr, machen Sie was draus.