Traditionell versuche ich, um die Jahreswende ein wenig in die Zukunft zu schauen, bezogen auf den Foto- und Bildermarkt und wohl wissend das andere Dinge wichtiger sind. Die vorigen Artikel finden Sie über die Suche: https://fotoschule.westbild.de/?s=Glaskugel&submit=Suchen. Diesmal ein wenig später, aber es hatte Vorrang, ein paar Bücher auf den Weg Richtung Druck zu schicken: EOS R7, EOS R10, Große Fotoschule, EOS R6 Mark II.
Zum Jahresende ging eine Reihe von Berichten durchs Netz, in denen sich die Autoren verwundert darüber zeigten, dass Adobe ihre Daten verwendet, um ihre KI zu trainieren. Wenn Sie ein Adobe-Konto haben, können Sie unter https://account.adobe.com/privacy nachschauen, ob das entsprechende Häkchen gesetzt ist („Adobe darf Ihre Inhalte mit Verfahren wie maschinellem Lernen (z. B. zur Mustererkennung) analysieren, um seine Produkte und Dienste weiterzuentwickeln und zu verbessern.“). Das wird es sein, wenn Sie es nicht schon ausgeschaltet haben und nein, sie wurden vorher nicht gefragt. Im Blick in die Glaskugel für 2018 habe ich das schon angesprochen. Im gleichen Artikel schrieb ich „Es gibt auch schon KI-Systeme, denen Sie nur noch mitteilen müssen, was der Bildinhalt sein soll und die dann die Bilder fast aus dem Nichts erzeugen. „. Das ist in 2022 eine ganz große Sache geworden, weil all diese Systeme öffentlich zugänglich gemacht wurden: DALL·E, Stable Diffusion und Midjourney. Bei all dem nicht zu vergessen ChatGPT, das erstaunlich Fähigkeiten bei Textverständnis und Texterzeugung aufweist.
Auch wenn es jetzt berechtigte Klagen gibt, weil die Systeme Bilder zum Training verwendet haben, die mit Copyright belegt sind und so auch Inhalte im Stile von XY oder mit geschützten Comicfiguren etc. erzeugen, wird KI bleiben und immer größere Teile der Arbeitswelt beeinflussen. Nicht nur als Hilfe, sondern auch als Konkurrenz. Es wird gestalterische Scheußlichkeiten geben, Langeweile bei Wiederholungen oder schlechten Ideen und Fragen zur Echtheit von Bildinhalten. Aber das hatten wir ähnlich auch schon bei der Einführung der elektronischen Bildbearbeitung. Es wird ganz feine Abgrenzungsprobleme geben, z.B. die Frage, bis wohin das Entrauschen einer Aufnahme noch die Details des Motivs freilegt oder ab wann es welche erfindet, was es für die journalistische Arbeit dann ungeeignet macht. Und es wird sehr große Probleme geben, weil die Einfachheit und Schnelligkeit der von Deep Fakes selbst Live-Bilder fälschen kann.
Im kreativen Bereich wird es Leute geben, die sich voll auf die neuen Möglichkeiten einlassen und andere, die sich als Gegenbewegung sehr in Richtung Straight Photography oder einer dokumentarischen Genauigkeit entwickeln werden. Das kann auch in einer Person zusammenkommen.
Die gleiche Technik, die den AF ihrer Kamera blitzschnell auf das Auge eines fliegenden Vogels scharfstellen lässt, kann auch für die Zielerfassung einer militärischen Drone verwendet werden. KI wird in vielen Bereichen schnell weiterentwickelt werden, weil die Nachteile, in der Entwicklung zurückzufallen, von großer Tragweite sein werden. Das beginnt bei so harmlosen Dingen wie selbstfahrenden Autos, stößt aber bei den totalitären Staaten auch auf großes Interesse in der Überwachungstechnik und wird generell auch in der Militärtechnik ein Thema bleiben.
Wir haben es mit einer Technik zu tun, deren Entwicklung in der Größenordnung des Mooreschen Gesetzes fortschreitet, während man beim Menschen wahrscheinlich schon optimistisch sein muss, von einer positiv linearen Entwicklung auszugehen. Das bedeutet, dass die KI die natürliche Intelligenz überholen wird, dass der Mensch nicht mehr in der Lage sein wird, Entscheidungen der KI nachzuvollziehen, auch dann nicht, wenn sie fehlerhaft sind. Und ob die nicht fehlerhaften Entscheidungen langfristig im Interesse der Menschheit sein werden, lässt sich auch nicht voraussehen. Es kann auch sein, dass die KI uns nur als einen Konkurrenten um Ressourcen ansehen wird, der ihrer Entwicklung im Weg steht.
Genügend Ressourcen sind auch für die nächsten Jahre ein Problem. Im Kamerabereich entspannt sich die Situation bereits und die Verzögerung der Neuvorstellungen, die bis Mitte 2022 fühlbar war, ist vorbei. Aber wer auf ein Elektro-Auto umsteigen will, renovieren oder ein Haus bauen möchte oder Infrastrukturprojekte auf den Weg bringen möchte, der wird das noch deutlich länger spüren. Die politische Lage, das Bevölkerungswachstum und der Klimawandel sind Faktoren, die uns in eine Zeit führen, in denen ein Ressourcenverbrauch wie in der Vergangenheit nicht mehr möglich sein wird. Was grundsätzlich in die richtige Richtung geht, aber eben auch eigene Probleme mit sich bringt, die die Lösung der anderen Probleme verlangsamen wird.
Die Beschleunigung der Technik hat auch im Kamerabereich sichtbare folgen. Die Kameras sind so schnell geworden, dass die Mechanik nicht mehr hinterher kommt. Eine EOS R6 Mark II schafft mit dem mechanischen Verschluss 12 Bilder in der Sekunde, mit dem elektronischen 40. Der Nachteil bislang ist, dass der elektronische Verschluss in 15 ms ausgelesen wird, während der teilmechanische nur 4 ms braucht. Zudem ist das Rauschen höher, so dass bei niedrigen ISO-Zahlen fast zwei Blendenstufen Dynamikumfang wegfallen. Je höher die Auslesegeschwindigkeit, desto besser kann auch der AF Bewegungen einschätzen. Die Richtung im Sensordesign ist also vorgegeben: Schnellere Auslesezeiten und höhere Dynamik. Ich warte ja schon seit Jahren auf den Global Shutter, der das gesamte Bild sofort erfassen kann, inzwischen gibt es von Blackmagic Global Shutter für den Videobereich und auch Canon hat ein Patent für einen solchen Sensor veröffentlicht, im industriellen Bereich mit entsprechenden Einbußen beim Dynamikbereich ist die Technik ohnehin schon lange in Verwendung. Der mechanische Verschluss wird irgendwann Geschichte sein, die Nikon Z9 hat ihn heute schon weggelassen.
Wenn ein Sensor sehr schnell ausgelesen werden kann, können Sie ihn für eine Belichtung auch mehrfach auslesen. Das macht dann das sogenannte Photon Counting möglich, das heißt, dass Lichtteilchen einzeln gezählt werden können, was in der Wissenschaft schon Verwendung findet. In der bildmäßigen Fotografie lässt sich das nutzen, um ein Sensorpixel auszulesen, bevor es im Lichterbereich zuläuft und keine Zeichnung mehr aufweist. Diese mehrfach ausgelesenen Werte lassen sich dann einfach addieren und ermöglichen perfekt durchgezeichnete Lichter und einen viel höheren Dynamikumfang. Eine zweite Technik, die im Filmbereich schon viel häufiger Verwendung findet, ist Dual ISO. Unterschiedliche Verstärkungswerte für dunkle und helle Motivbereiche ermöglichen weniger Rauschen in den Schatten und höhere Durchzeichnung in den Lichtern.
Ein anderer Trend ist die Verbesserung der AF-Technik. Panasonic ist mit der S5 Mark II endlich auch zum Phasen-AF gewechselt, die Sony A7 RV hat als hochauflösende Kamera nun auch einen deutlich besseren AF als ihr Vorgänger. Vielleicht werden wir in diesem Jahr die erste Kamera mit Quad-Pixel-AF sehen, die nicht mehr so blind gegen Linien ist, die parallel zu dem Dual-Pixel AF liegen. Ebenso sollte ein neuer Mittelformat-Sensor in der Lage sein, eine deutlich bessere AF-Leistung zu ermöglichen, als sie bislang im Mittelformatbereich zu finden ist. Das wäre auch für mich ein Grund, über eine neue Kamera nachzudenken, während es für eine weitere Verbesserung der Bildqualität gegenüber der Fujifilm GFX100S eher schwierig wird, noch eine sinnvolle Anwendung zu finden.
In der Bildauflösung ist auch noch Spielraum nach oben. Es gibt heute schon Handysensoren mit 200 MP. Interessanter ist, dass Fujifilm im APS-C bereits bei 40 MP angekommen ist, das sind 90 MP im Vollformat und 144 MP im kleinen Mittelformat der Hasselblad X2D oder Fujifilm GFX100S. APS-C ist gerade im Aufwind, es ist zu erwarten, dass auch in naher Zukunft interessante Kameras in diesem Format erscheinen werden. Die Sony α6600 ist von 2019 und immer noch das Top-Modell von Sonys APS-C-Reihe. Das wird sich 2023 hoffentlich ändern. Da Canons M-System sein Ende erreicht hat, ist zu erwarten, dass ein paar der erfolgreichen Objektivkonstruktionen des Systems für RF-S erscheinen werden. Gerade ein Weitwinkelzoom und ein Pancake-Objektiv würde ich für eilig halten.
Ich vermute, dass computergestütze Fotografie stärker auch in Systemkameras verwendet werden wird. Bislang ist das viel stärker in Handys vertreten. Es gibt Ausnahmen, etwa, wenn bei Pentax die Erddrehung bei Sternenaufnahmen kompensiert werden kann, oder wenn OM-Systems Sie beim Lichtsammeln für eine Nachtaufnahme zugucken lässt. Ich meine damit nicht den Firlefanz, den die Marketingabteilung der Technikabteilung reindrückt, so stelle ich mir das zumindest vor. Diese „Kreativfilter“, überschminkten HDR-Modi oder „Hybrid Auto“, das Videoschnipsel mit Standbildern zu einem Klumpen Müll verschmilzt. Und ich möchte auch nicht diesen überakzentuierten Look, den das iPhone erzeugt, in dem jeder Partialkontrast betont ist und jede Farbnuance verdeutlicht wird. Aber längere Nachtaufnahmen aus der Hand, Kontrastausgleich, Rauschentfernung etc.
Es gibt auch negative Entwicklungen, die ich nicht verschweigen möchte. CaptureOne hat seine Update-Regelung eingestellt, Sie müssen nun eine Vollversion kaufen, wenn Sie eine neue Kamera verwenden oder neue Funktionen verwenden möchten. Canon hat seit fünf Jahren immer noch nicht das RF-Bajonett für Fremdhersteller geöffnet, sondern alle AF-Objektive für RF mit Patentklagen oder Androhung solcher vom Markt gedrängt. Unternehmensberater haben Spezialsoftwares im Einsatz, mit denen Produkte und vor allem Ersatzteile nach der Schmerzgrenze der Kunden bepreist werden und nicht nach Aufwand plus Marge. Ich will damit keinesfalls sagen, dass Kamerahersteller obszöne Gewinne machen, diese sind meist Aktienunternehmen, deren Bilanz sie selbst einsehen können. Wenn ich jetzt Aktien kaufen würde, wäre ein Kamerahersteller wahrscheinlich nicht meine erste Wahl. Aber bei bestimmten Produkten zahlen Sie Fantasiepreise und ob Sie das mitmachen wollen, sollten Sie selbst entscheiden. Wenn ein kleiner Akku 100 € kostet, die Druckerpatrone plötzlich 80% teurer geworden ist, oder die APP plötzlich in ein deutlich teureres Abo-Modell wechselt, dann kann man als Kunde auch mal nach Alternativen gucken.
Ein anderer Bereich, der mit einem Preisproblem zu kämpfen hat, ist die analoge Fotografie. Während Kameras und Objektive zu guten Preisen zu bekommen sind und Hersteller wie Leica oder Pentax sogar wieder neue Kameras für Film auf den Markt bringen, werden Filme immer teurer. Ein Fünferpack Kodak Portra 400 Rollfilm kostet inzwischen 74,99 €, bei einer 6×6-Kamera kommen Sie so auf 1,25 € pro einzelner Auslösung ohne Filmentwicklung. Wenn das so weiter geht, werden bald mehr Leute sich ihre Kollodium-Nassplatten selbst gießen, als das sie Filme im Fachhandel kaufen. Ich übertreibe ein wenig, aber die analoge Fotografie gerät gerade etwas in Gefahr. Ich habe als Fotostudent manchmal schon ein wenig gehungert, um mir mein Material leisten zu können, aber heute wäre das für Menschen wird wenig Geld nicht mehr möglich. Immerhin gibt es noch einige günstige Filme, vor allem im Kleinbildbereich. Je mehr Menschen diese kaufen, desto länger werden diese günstig bleiben können. #keepfilmalive
Die Jugend wäre ja nicht die Jugend, wenn sie sich nichts einfallen ließe. Um bezahlbare Retro-Fotografie zu erleben, werden die Digitalkameras der Frühzeit wieder in. Im Point-and-Shoot-Bereich passiert ohnehin nicht mehr viel neues und die alte Technik ist extrem günstig zu bekommen. Wahrscheinlich werden wir für bestimmte Kameras auch bald höhere Preise sehen, eine analoge Yashica T4 z.B. ist inzwischen auch irrational teuer.
Ich habe in meinem Leben 3D schon so oft scheitern sehen und vor ein paar Wochen einen Artikel aus den 1950ern gefunden, in dem das auch schon das „next big thing“ war. Ich meine damit stereoskopisches Sehen für VR, Internet, Kino oder Fernsehen und nicht 3D-Visualisierung, die sicher immer weiter an Bedeutung gewinnen wird und in mit der ich auch schon kommerziell gearbeitet habe. Ich bin sehr skeptisch, ob die Menschen so einen Drang haben, Dinge dreidimensional zu erfahren, die sie mit weniger Anstrengung auch zweidimensional erledigen können. Auch industrielle Kollaboration ergibt für mich in 3D nur dann Sinn, wenn es auch um 3D geht. Die Metaverse-Vorstellung bleibt mir deswegen fremd, für mich bedeutet das meiste davon kognitiven Mehraufwand, der vom eigentlichen ablenkt. Zudem muss die Technik leicht und verzögerungsfrei werden, denn vielen Menschen wird sehr schnell schlecht, wenn 3D nicht ganz passt. Immersion ist auch ohne eine 3D-Brille möglich, bei mir reicht dafür schon ein gutes Buch. Meine Vermutung ist, dass das mittelfristig eine Nische bleiben wird, in der zwar immer bessere Lösungen entwickelt werden, aber für einen Wechsel von z.B. Social Media ins Dreidimensionale spricht nicht viel.
Die Fortschritte im Objektivbau sind weniger gut in Zahlen zu fassen, aber auch in diesem Bereich passiert enorm viel. Die Objektive werden immer schärfer und leichter, erreichen neue Werte bei Lichtstärke oder im Brennweitenbereich. Manchmal macht auch ein Verzicht auf etwas Lichtstärke viel günstigere Konstruktionen möglich, wie beim Nikon Z 400mm f4.5 VR S, das mit 1245g auch sehr gut aus der Hand zu verwenden ist. Der AF der neuen Kameras funktioniert auch noch mit lichtschwachen Objektiven gut, was Canon dazu veranlasst hat, lange und leichte Teleobjektive mit Anfangsblende f11 herauszubringen. Wir werden in diesem Jahr das erste Tilt-Shift-Objektiv mit AF sehen (von Canon), ein Tilt-Shift-Objektiv für das digitale Mittelformat (von Fujifilm), Weitwinkelzooms, die noch ein wenig weitwinkliger werden und AF-Motoren, die für die steigende AF-Geschwindigkeit der Systemkameras ausgelegt sind.
Als Ende 2021 Memorial von der Russischen Regierung verboten wurde, war mir klar, dass sich dieser Staat auf dem Weg in Richtung Faschismus bewegt. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so bald darauf Krieg geben würde. Als 200.000 Mann vor den Grenzen der Ukraine standen, wusste ich aber, dass es gleich nach der Winterolympiade losgehen würde. Trotzdem macht mich die stumpfe Dummheit dieser Entscheidung immer noch fassungslos. Wir haben eine Menge vor uns, um „solutions for a small planet“ zu finden, wie es IBM einmal in einem schönen Werbespruch formulierte. Und wir müssen dabei leider mehr leisten, weil uns die menschliche Dummheit immer wieder dazwischen grätschen wird. Trotzdem sollten wir nicht vergessen, dass jeder einzelne dazu beitragen kann, dass die Zukunft keine Dystopie wird, sondern ein recht angenehmer Ort zum Leben. Fatalismus hilft nicht, viele Dinge lassen sich so verbessern wie der AF in den letzten Jahren und Probleme lösen wie das Ozonloch oder der Saure Regen. Vor ein paar Jahren noch große Themen, aber kaum macht man’s richtig, geht’s. Dass der momentane Gasfüllstand in Deutschland 20% höher ist als im Durchschnitt der Vorjahre, hätte im Sommer auch noch niemand vorhergesagt.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Jahr, bleiben Sie beweglich im Kopf und in den Beinen, genießen Sie Kultur und Natur und nutzen Sie Ihre Chancen, etwas besser zu machen.